Von Miriam Krüger
Aufmerksam verfolgt Bente, wie in der Industriemontagegruppe 4 der Lausitzer Werkstätten für behinderte Menschen in Hoyerswerda Kleinteile verpackt werden. Nicht jeder der 17 Frauen und Männer zwischen Anfang 20 und über 60 Jahre ist immer voll bei der Sache. Schon gar nicht, wenn mal jemand einen schlechten Tag hat. Doch wenn Bente eine Runde durch die Halle dreht, dann ist gute Laune quasi vorprogrammiert.
Bente ist der Werkstatthund und treue Begleiterin von Gruppenleiter André Unger. Der ist eigentlich gelernter Binnenfischer, doch damit war es zur Wende vorbei. Er habe schon immer etwas mit Menschen machen wollen, bekennt der 57-Jährige. Mit einer Umschulung im sozialen Bereich klappte es in den 1990er Jahren allerdings nicht. So wurde er Tischler.
Als Quereinsteiger kam er 2006 in die Lausitzer Werkstätten. „Da wusste ich sofort, das hätte ich schon Jahre vorher machen sollen“, sagt er rückblickend. Er absolvierte eine sozialpädagogische Zusatzausbildung, machte den Ausbilderschein. Als Fachkraft für Arbeits- und Berufsförderung, wie es richtig heißt, leitet er die betreuten Mitarbeiter in der Montagegruppe 4 an. Er nennt es lieber Gruppenleiter. Denn mit dem Begriff könne jeder etwas anfangen.

In seiner Freizeit ist André Unger durch und durch ein Hundefan, seit 2013 Mitglied des Hundesportvereins „Pfote drauf!“ in Hoyerswerda. Dort ist er seit vielen Jahren für die Spielstunde zuständig, vor allem der großen Hunde. Dafür hat er sich auch weitergebildet in Körpersprache, Ernährung und Gesundheit von Hunden sowie in tiergestützter Intervention. Bei Letzterem werden behinderte und anderweitig benachteiligte Menschen mit Hilfe von Hunden in ihren physischen, sozialen, emotionalen und kognitiven Fähigkeiten gefördert und so ihre Lebensqualität erhöht.
Beruf und Hobby verbinden
Als 2021 in den Lausitzer Werkstätten die Idee eines Werkstatthundes aufkam, bedurfte es nicht vieler Worte, um Unger zu überzeugen. Zumal es ihm die Möglichkeit bot, Beruf und Hobby zu verbinden. Seine Emmy, als Goldendoodle eine Züchtung aus Golden Retriever und Pudel, wäre vom Charakter her geeignet gewesen, doch war sie dafür schon zu alt.
Also hielt André Unger Ausschau nach einem anderen Hund. Es musste eine Rasse mit freundlichem Wesen sein, die größere Menschenansammlungen verträgt und keinen saisonalen Fellwechsel hat. Im Internet stieß er auf die Australian Cobberdogs. Diese Hunde werden speziell für therapeutische Zwecke gezüchtet. Schulbegleitend kommen sie im Westen Deutschlands schon des Öfteren zum Einsatz, im Osten sind sie bisher weit weniger bekannt. Nur vier Züchter gibt es überhaupt in ganz Deutschland.

Im Alter von acht Wochen zog Bente 2023 bei André Unger und seiner Familie ein. Mit 14 Wochen nahm er sie mit in die Werkstatt, stundenweise zum Eingewöhnen. Längst ist die mittlerweile dreijährige Hündin ein festes Teammitglied. Seit Bente da ist, sind die zumeist geistig Behinderten in der Montagegruppe viel ruhiger geworden. Selbst wenn sie einfach nur daliegt und den Menschen zuschaut. „Wenn sie durch die Werkstatt spaziert, zaubert sie jedem ein Lächeln ins Gesicht“, erzählt der Gruppenleiter.
Fütter- und Streichelstunde
Heike, die seit 1992 in der Fördereinrichtung arbeitet, streichelt gern den Hund. Wenn die 55-Jährige mit Bente Pfötchengeben übt, können sie beide gar nicht genug davon bekommen. Auch Yvonne (45), die seit 2001 in die Lausitzer Werkstätten kommt, freut sich jeden Tag auf den Hund. Sie kann sich sprachlich schlecht verständigen, kommt aber mit Bente bestens zurecht. Mandy (39) mag es ebenfalls, den Hund zu streicheln. Dann würde die Arbeit gleich noch mehr Spaß machen, findet sie.
Doch Bente bewirkt sehr viel mehr. An jedem Mittwoch gibt es für die mehrfach Schwerstbehinderten in der Einrichtung eine Fütter- und Streichelstunde. Bente regt sie spielerisch an, aus sich herauszukommen. „Es fördert die Beweglichkeit und ist die beste Physiotherapie, die man haben kann“, sagt André Unger schmunzelnd. Er ist schon ein bisschen stolz darauf, dass bei Manchen bereits deutliche Fortschritte spürbar sind.

Jeweils freitags geht es mit zehn Betreuten zum Hundewalking. Der einstündige Spaziergang findet bei jedem Wetter statt. Und alle zwei Wochen dienstags begleitet Bente Betreute der Außenstelle in Nardt an die frische Luft. Gern würde André Unger noch mehr Begleitmaßnahmen in kleinen Gruppen anbieten. „Wir sind schon auf einem guten Weg“, sagt er. Und das sieht man überall, wo Bente auftaucht.
„Achtung: Werkstatthund“ heißt es auf einem Schild am Eingang der Montagehalle in Seidewinkel. Alle Türen sind offen, so dass er hingehen kann, wohin er will. Mit ihrem ruhigen und freundlichen Wesen ist Bente bei jedermann beliebt. Dennoch gibt es Einige, die lieber Abstand haben wollen. Dafür ist ein Handzeichen vereinbart. Dann zieht sich die Hündin zurück.
Für André Unger ist der Werkstattalltag mit seinem Hund ganz normale Arbeit. Für Bente hingegen sei es eine große geistige Herausforderung, sagt er. Deshalb hat sie ihre Rückzugsmöglichkeiten: eine Box in der Arbeitshalle und einen Liegeplatz im Büro ihres Herrchens. Und nach Feierabend kommt sie dann so richtig auf ihre Kosten, findet ihren Ausgleich bei Spiel und Spaß auf dem Hundeplatz.

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