Das Geheimnis der alten Vier Gassen

Der schöne Stadtplan von Hoyerswerda aus dem Jahre 1907 spart in diesem Ausschnitt leider die Steinbrückstraße aus – sie müsste ganz links von Süd nach Nord verlaufen.

Und so hiermit zu allen Zeiten des zu meinem Gedächtnis gehalten werden …“ – geschrieben wurden diese Zeilen, ein Stückchen Hoffnung auf ewigen weltlichen Nachruhm, am 22.September 1616. Es ist das älteste Dokument, das der Stadt Hoyerswerda in ihrem Archiv als Original-Stück vorliegt: das Testament des Stephan Mischkan, von dem die Frentzel’sche Chronik 1744 meldet: „Dieser Mischkan war ein feiner, geschickter und ansehnlicher Mann, daher er auch zu Zeiten derer Herren von Promnitze und Kitlitzsche, Herren von Hoyerswerda, Amts-Assessor war. Er starb im Jahre 1616 den 23.December in seinem 53sten Jahre, wie solches auf dem Epithaphio, so ihm zu Ehren und Andencken aufgerichtet worden zu sehen …“

Grabplatten-Triptychon des Stephan Mischkan. Zu finden ist es an der östlichen Seite der Außenmauer der Johanneskirche, direkt hinter dem Altar, also an der vornehmsten Begräbnisstätte, die eine christliche Kirche zu bieten hat. Nur ist die Schrift kaum noch leserlich, die Porträt-Relief-Platte bis zur Unkenntlichkeit verwittert – SO hat es kaum ausgesehen, das „ewige Gedächtnis“, das sich Mischkan im Testament und mit seiner Stiftung erhofft hatte.

Beachtliche Summen Geldes

Aber was ihn dem Chronisten erwähnenswert machte: Mischkan ist der erste mit Sicherheit nachweisbare Stifter der Stadt Hoyerswerda. Er war als armer Current-Schüler nach Hoyerswerda gekommen – das heißt, er hatte kaum materielle Unterstützung und musste sich sein Brot durch Singen (Currende) an den Haustüren gebefreudiger Bürger verdienen. Aber „GOtt hatte ihm hie in Hoyerswerda nicht allein ein Stücklein Brod aufgehoben, sondern ihn auch zu einem grossen vermögenden Manne gemacht.“ – zum wohlhabenden Kaufmann und Assessor (Gerichts-Beisitzer), dessen Ehe kinderlos blieb, „… und so vermachte er sein von GOtt beschertes Vermögen meistentheils an Arme und Nothleidende“.

Nicht vollkommen selbstlos

Allerdings: 
ganz uneigennützig nun auch nicht. Denn in seinem Testament bestimmte er vor allem, „ … sollen zwei Knaben des Geschlechts und Namens des Testators St. Mischkan, welche auf den höheren Schulen oder Universitäten studieren, und in Ermangelung an zwei der ältesten Paten des Fundators (also des Stiftungs-Gründers Mischkan), nach deren Ableben aber an zwei arme hiesige Knaben so auswärts studieren auf 3 Jahre verteilt werden“ – sprich, erst wenn weder aus der Mischkan-Familie noch von deren Patenkindern noch Studierende existierten, war es ins Ermessen des Hoyerswerdas Rates gestellt, mit den Zinsen des ihm von Mischkan legierten Vermögens von 500 Talern anderweitig bedürftige Studiosi zu bedenken. Wer die scheinbar geringe Zahl „500 Taler“ belächelt – nach heutigem Gelde wären das etwa 80000 Euro. (Quelle: www.fredriks.de/HVV/kaufkraft)

Lange namenlose Straßen

Ein gutes Vierteljahrtausend
 nach seiner Stiftung konnte Mischkan hoffen, dass es mit der weltlichen Ewigkeit klappen würde: Nicht nur, dass seine Stiftung seinen Namen wach hielt – er bekam auch eine Straße in Hoyerswerda. Straßennamen gab es hier lange nicht. Selbst die Kullmann’sche Chronik von 1852 kennt nur Hausnummern. Straßennamen dürften sich erst um 1890 dazugesellt haben; spätestens der obige Stadtplan von 1907 verkündet sie – eben auch mit der Mischkan-Strasse; einer der vier Gassen des „Amtsanbaus“, der einst vor den Toren von Ur-Hoyerswerda angelegt worden war.

Detaillierte Zweckbestimmung

Und neben Mischkan fanden sich, 
von Ost nach West, weitere Hoyerswerdaer Stifter. Zunächst Grosche. Johann Gottfried Grosche (auch „Gottlob Grosch“), Sohn der Stadt, dazumal „I.U. Candidatus beider Rechte, des römischen und kanonischen“, also eine Art Doktorand des kirchlichen und des weltlichen Rechts. Grosche wirkte hier von 1695 bis 1727 als Archi-Diakonus, als Geistlicher Nr.2 der evangelischen Kirche, auch als Prediger. Er verstarb im Dezember 1749 in Lübeck, hatte aber am 12.Oktober 1749 daselbst ein sehr detailliertes Testament zugunsten seiner Heimatstadt verfertigt: Das Waisenhaus sollte 30 Taler bekommen, desgleichen die Armen zu St.Annen. Die Kirche zu Hoyerswerda erhielt 100 Taler und Grosches kleine Bibliothek, die Schule 100 Taler (“wovon jährlich den armen Kindern nötige Bücher gereicht werden sollen“), das Spital 50 Taler und das Rathaus 100 Taler; in summa Geldes 410 Talern.

Kullman zitiert in seiner Chronik einen damals schon nicht mehr vorhandenen Leichenstein eines Archidiakonus (Christian Gottfried) Grosche (1672 bis 1727), damit kann aber unmöglich unser Mann gemeint gewesen sein. Ein Irrtum? Neben der Grosche- lag die Opitz-Strasse. Von Carl Friedrich Opitz weiß man nur, dass er königlicher Oberförster gewesen war und der Stadt am 6.Mai 1858, in seinem Todesjahr, ein Legat von 1000 Talern (damals 21934 Euro) vermachte. Von dieser Summe sollten ein halbes Jahr nach seinem Tode die Zinsen an die Stadtarmut verteilt werden, das Kapital selbst aber „sicher ausgeliehen“, also angelegt werden. Nachweislich wurden aus dieser Stiftung gezahlt: 1862 an 33 Arme, 1863 an 37, 1877 an 39, 1878 an 25, 1879 an 24 Arme jeweils zwischen 3 bis 6 Mark, also, bei schwankendem Geldwert, Beträge zwischen 21,93 und 50,31 Euro. Vielleicht findet sich später zu Opitz in den Forstarchiven mehr.

Die Steinbrückstraße, von der Heinrich-Heine-Straße aus gesehen. Hier, bei PSW, begann im Jahre 1990 übrigens auch die Tageblatt-Geschichte.

Westlichste der vier Gassen: die Steinbrückstraße. Ernst Friedrich Wilhelm Steinbrück wohnte in der Senftenbergergasse 158, führte mit wohl großem geschäftlichen Erfolg die Apotheke am Hoyerswerdaer Markt, blieb aber unverheiratet und kinderlos. Kurz vor seinem Tode zog er zu seiner Schwester. Die, eine verwitwete Frau Justiz-Commissarius Gerlach, hatte nach dem Tode ihres Mannes den Dresdener Kaufmann Schilling geehelicht. Ob der Wunsch ihres Bruders sich erfüllte (trotz seines Todes in Dresden), in Hoyerswerda beigesetzt zu werden (“in der Nähe meines Schwagers Gerlach“), ist heute ungewiss. Gewiss aber ist, dass Steinbrück kurz vor seinem Tode mit Testament vom 3. Dezember 1857 Hoyerswerda 1000 Taler vermachte: „Für die Unterhaltung meines Grabes und der Stadtarmut“. Die Zinsen sollten auch zur Unterbringung von Armen im Hospital „und jährlich an 12 bedürftige Arme zu gleichen Teilen“ ausgegeben werden. Solche Gaben sind verbürgt für 1877 bis 1880.

Warum die Steinbrückstraße von der Umbenennungswelle 1950 verschont blieb? Des Rätsels Lösung könnte womöglich ihr Straßenschild von der Heinrich-Heine-Straße her -links- sein. Das übersetzt ins Sorbische falsch, aber politisch unverdächtig „Steinbrücken-Straße“ oder „Straße mit steinerner Brücke“, während das Schild von der Schulstraße her -rechts- in der Zweitsprache korrekt „Steinbrückstraße“ oder „Straße des Steinbrück“ vermeldet.

Warum die Steinbrückstraße von der Umbenennung der Gassen am 19.Juni 1950 verschont blieb? Praktischen Wert für Hoyerswerda hatten die Stiftungen da nicht mehr. Schon 1923, auf dem Gipfel der Inflation, beschied die Stadtkasse: „Zinsen (aus den Stiftungen) zur Verteilung sind nicht mehr vorhanden.“ Am 9. August 1939, auf Anweisung des Reichsleiters vom 15. Dezember 1938, wurde die Auflösung aller noch bestehenden Stiftungen beschlossen.

Epilog mit Frentzeln

„Mit allem Rechte kann man behaupten,
 daß es eine Genade von GOtt, wenn in einer Stadt oder Orte gutthätige Hertzen sich hervorthun, die an Nothleidende gedenken, und sowohl überhaupt gegen Arme mildreich sich erweisen, als auch mit gewissen Stiftungen denen Studirenden suchen fortzuhelfen. Solche Wohlthäter lassen ein ewiges Gedächtnis hinter sich, und so oft ihren Stiftungen nachgekommen wird, gedencket man ihrer und rühmet ihr Wohlthun, wie sie es auch in der That verdienen“, schreibt Frentzel 1744 und fährt fort: „In unserem Hoyerswerda hat es an dergleichen mildreichen Hertzen nicht gefehlet, nur zu bedauern ist es, daß man keine rechte und hinlängliche Nachricht von denjenigen Personen hat, die durch ihr Wohlthun ihr Gedächtniß verewiget.“ Mag dies hier als bescheidener Beitrag gelten dürfen, das Gedächtnis einstiger Wohltäter nicht ganz verlöschen zu lassen.

Die Frentzel’sche Chronik von 1744 vermeldet in Kapitel13 (“Von denen Legatis und Stiftungen“) für Hoyerswerda als älteste Stiftung die eines Matthias oder Matthäsius. Die Mischkansche und die Kochsche Stiftung werden gleichfalls erwähnt, alle anderen im Adressbuch von 1913 genannten Stiftungen (siehe unten) fehlen. Frentzel gibt dazu an, zwar noch von anderen Legaten zu wissen – jedoch ohne gesicherte Kenntnis und daher unerwähnt bleibend. Dafür aber vermeldet er neben Matthäsius im Adressbuch verschollene Stiftungen: zwei Legati von Antonius Faber, Doctor der Medicin (eines im Namen seiner Schwiegermutter Barbara Meckin), eines vom Kaufmann Mülle und eines des Herrn Giesse. (DR)

Ein Dank gilt Ingrid Wirth vom Stadtarchiv Hoyerswerda.

* Ihre Nachbarn, von links nach rechts gesehen: die Opitz- (heute Gerhart-Hauptmann-) Straße, nun mit leicht veränderter, gerader Führung, die Grosche- (heute Andreas- Sejler-) und die Mischkan-Strasse (heute An der Schule). Im Norden werden die Gassen begrenzt durch die Schulstraße, im Süden durch den Wiesenweg (heute Heinrich-Heine-Straße). Östlich des Fünfarmigen Knotens verläuft die Kreishaus-, heute Salomon-Gottlob-Frentzel-Straße.

Aktuelle Beiträge

Jan Henryk Dąbrowski – Der vergessene Held Hoyerswerdas

Das (Heimat-) Buch der Bücher

Mit Mietrachs Bus unterwegs

Das könnte Sie auch interessieren:

Das (Heimat-) Buch der Bücher

Mit Mietrachs Bus unterwegs

In vollem Umfang informiert bleiben!

Immer auf dem Stand von HOYTE – genießen Sie jederzeit das Komplettpaket an Nachrichten:

  • Zugriff auf exklusive Inhalte mit HOYTE PLUS.
  • Spannende Reportagen und Hintergründe aus der Region.