Möhrchen für den Chef


von Tageblatt-Redaktion

Rainer Könen unternahm eine Trekking-Tour mit Lama Pedro am Bärwalder See.
Rainer Könen unternahm eine Trekking-Tour mit Lama Pedro am Bärwalder See.

Wer nach Dienstschluss aufgefordert wird, Einsatzbereitschaft zu zeigen, der tut dies nicht unbedingt mit Hingabe. Schon gar nicht, wenn man sich auf den wohlverdienten Feierabend gefreut hat. Wie er den gestalten wollte, davon hatte Pedro an diesem Nachmittag genaue Vorstellungen.
Allerdings hat er die Rechnung ohne mich gemacht. Als ich vor ihm stehe, schaut er mich mit seinen leeren schwarzen Augen an, fixiert mich mit einem desinteressierten Blick, dreht seinen Kopf weg. „Der Hengst hat Sie wahrgenommen“, höre ich Marlies Wehnert sagen. Im Moment habe ich einen anderen Eindruck. Aber gut. Auf meine Frage, wie es jetzt weitergehen soll, reicht mir die Forstökonomin Möhrenstücke. „Wir bauen erst mal den Kontakt zwischen ihnen beiden auf.“ Ich mag doch keine Möhren. „Geben sie ihm die“, fordert die 54-Jährige mich auf. Hat er nicht schon genug bekommen? Die Kinder, die eine Stunde vorher in seinem Gehege waren, haben ihn fast vollgestopft mit dem Gemüse.
Streicheln soll ich ihn möglichst nur am Hals, so ihr Rat. Wenn er dadurch Lust bekommt, mit mir eine kleine Tour durch das am Bärwalder See gelegene Safariwildrevier zu machen, das von Marlies Wehnert und Dietgard Eichhorst Mitte der 90er Jahre aufgebaut wurde, warum nicht.
Neben diesen Lama-Wandertouren gibt es dort ein Streichelgehege für Kinder, kann man auch mit einem Jeep ins Wildrevier fahren, um Hirsche, Rentiere oder Wapitis zu beobachten.
„Ich habe den Eindruck, dass Pedro Sie ganz okay findet“, meint Marlies Wehnert wenig später. Vielleicht liegt das auch an den Möhren, die er von mir schon bekommen hat. Wir stehen auf einem am Lamagehege vorbeiführenden Radweg. Ich führe Pedro an der Leine. Oder führt er mich? „Was mache ich, wenn uns Radfahrer entgegenkommen“, will ich wissen. Das seien meist ältere Herrschaften, beruhigt Wehnert mich. Das sei die Generation, die noch dächten, dass Lamas spucken. Mit anderen Worten: Die machen auf jeden Fall einen Bogen um uns. Ach ja, die obligatorische Frage, die hatte ich sowieso noch ansprechen wollen. Also, wird das heute ein feuchter Ausflug? Keine Angst. Nur wenn ihm jemand das Futter wegnehmen will. Ich doch nicht.
Pedro gibt das Tempo vor, er ist der Chef von acht Lamas. Aber irgendwie hat der Chef ein Problem mit mir. „Sie sind größer als er“, höre ich von der Seite. Damit muss der neunjährige Leithengst klarkommen. So was kennt er nicht. Wer ist denn nun hier der Boss?
Er überlegt, während wir gehen, frisst dabei alles, was er mit seinem langen Hals erreichen kann: Grashalme, Blätter. Jedes bisschen Natur scheint für ihn genießbar.
Vor acht Jahren kauften die beiden Frauen die ersten Lamas. Nachdem sich die Tiere an die neue Umgebung gewöhnt hatten, starteten die beiden mit einem in der Region bisher einmaligen Freizeitangebot: Lama-Trekking.
Richtig voran kommen wir in den ersten zehn Minuten nicht. „Er testet Sie, schaut, wie weit er bei Ihnen gehen kann“, grinst Marlies Wehnert, die mich auf der Trekking-Tour begleitet. „Es ist wie im richtigen Leben.“ Ich zuckle mit der Leine. Nicht grob, mehr sanft. Ihr Tipp: „Versuchen Sie, sich bei ihm durchzusetzen.“ Vorsichtig ziehe ich am Strick. Wir biegen um die Ecke des weitläufigen Geheges, als Pedro mit einem Male mindestens einen Kopf größer wird. Majestätisch steht er vor dem Zaun, auf der anderen Seite die Damen seiner Herde. Ein fiependes Wiehern ist von allen Tieren zu hören. Was ist los? „Im Gehege ist man sauer, weil Pedro Ausgang hat.“ Ätsch, scheint Pedro denen wohl zuzuwiehern. Wie gesagt, es ist wie im richtigen Leben. Pedro ist jetzt ganz Leit- hengst, stolziert mit aufgerissenen Augen und breiter Brust weiter. Wir biegen in einen Waldweg ab. Scheint so, als ob wir uns aneinander gewöhnt haben. Keine Machtspielchen mehr. Pedro trottet gemütlich neben mir her.
„Übrigens ist das heute so was wie ein Experiment“, erzählt mir meine Begleiterin. Denn: Leithengst Pedro werde sonst nur von ihr oder Dietgard Eichhorst ausgeführt. „Wir dachten, wir probieren es einmal mit Ihnen.“ Die Damen sind aber mutig, ich fühle mich für kurze Zeit wie ein Versuchskaninchen. Pedro wird auf einmal unruhig. Dreht seinen Kopf, er tritt aus. „Ich glaube, das ist eine Bremse“, meint Marlies Wehnert. Hoffentlich piekt die ihn nicht. Das tut höllisch weh. Erfahrungswerte. Und der Fotograf, der uns begleitet, hofft nun bestimmt auf ein richtig tolles Motiv. Wie Pedro, mich an der Leine hinter sich herziehend, durchs Gebüsch rast. Ja, das dürfte ein hinschauenswertes Aufmacherfoto werden.
Ich stehe unter Anspannung. Das Tier neben mir ebenfalls. Pedro wird diesen Quälgeist einfach nicht los. Immer wieder tritt er nach dem Insekt, das sich auf seinem Bauch niederlassen will. Dann - ein mächtiger Ruck, 120 Kilogramm scheinen zu explodieren. Pedro will ins Gebüsch, Marlies Wehnert greift ein, „lassen Sie mal, ich mach´ das jetzt“. Sie zieht ihn von der Stelle weg, aber die Bremse oder was ihn nervös macht, ist immer noch da. Wir kürzen die Tour daher ab. Gehen hinunter zum See, wo es windig ist. Pedro beruhigt sich allmählich, er bekommt - ein Möhrchen. Während wir am Strand herumlaufen, habe ich den Eindruck, dass sich einige Radler über unseren Anblick amüsieren.
„Normalerweise nehmen wir auf solche Touren nur Jugendliche mit“, erzählt mir Marlies Wehnert. Erwachsene eher seltener. Ich vermute: weil Pedro sonst häufiger ein Rollen-Problem bekommt.
Wir sind zurück im Gehege. Meine letzten Möhrenscheiben kauend, zieht es das Tier endlich in den Feierabend. In einer Kuhle nimmt der Hengst ein Sandbad, dreht sich auf den Rücken, dann geht es bockspringend zur Lichtung, wo sich seine Herde aufhält. „Sie haben sich aber gut verstanden mit ihm“, findet Marlies Wehnert. Ja? Vielleicht lag es auch an den Möhren. Die sollte man beim Lama-Trekking immer dabeihaben.



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